Unterwegs 02 MAI 2012 "Ein angenehmes Bett kann viel weiterhelfen..." Bericht und Analyse eines Turnier in Australien
Da das Turnier in der Nähe von Melbourne * so gut gelaufen ist und um der Reise einen sinnvollen Beigeschmack zu geben, habe ich in Sydney kurzfristig entschieden, das "2012 Sydney International Open" zu spielen. von Patrick Scharrer
Die Entscheidung war deshalb bis zum letzten Moment offen, da ich mich erst am Tag zuvor von einer Krankheit erholt hatte und so mir auch die Zeit davon gerannt ist, so viel wie möglich von Sydney zu sehen. Da es sich aber ergeben hat zur selben Zeit in Sydney zu sein während auch eines der größten Turniere Australiens stattfand und Schachturniere hier nicht so oft vorkommen, konnte ich es mir fast nicht entgehen lassen. Dabei waren mir bei dieser spontanen Entscheidung die Umstände, dass das ein sehr alternatives Turnier werden wird, erst später richtig bewusst. Theoretisch gesehen kann man ruhig ein Turnier spielen, ohne zu wissen wer sein nächster Gegner ist oder sich gegen ihn vorzubereiten zu müssen, da man kein Internet bzw. keine Batterie auf dem Computer hat, weil man in einem kleinen Reisemobil übernachtet. Praktisch ist aber ab einem bestimmten Niveau ein dauerhafter Erfolg nur möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind oder man ständig im Training ist. Dazu muss ich anmerken, dass ich auf dieser Reise nur ein Buch über Schachpsychologie mithabe. Das Fehlen der Eröffnungsbücher habe ich besonders dann gemerkt, als ich gegen Großmeister gespielt habe (Anm. d. Red.: Attila Czebe und Adam Horvath) und gleich nach der Eröffnung etwas schlechter gestanden bin, sodass ich mich nicht mehr erholen konnte. Aber gegen einen Großmeister zu verlieren ist keine Schande, aber gegen einen 2000-er zu gewinnen ist Pflicht! So hat es mich in den ersten Runden zwischen ca. 500 Elopunkten hin- und hergeworfen.
Erst in der siebten Runde des Turniers traf ich zum ersten Mal gegen einen anderen Fide-Meister: Bobby Cheng (Elo 2344) aus Australien. Wie jeden Morgen, bin ich rechtzeitig aufgestanden, habe mir am Brunnen das Gesicht gewaschen, Zähne geputzt und bin dann eine Stunde mit Bus und Bahn durch die stressigen Morgenstunden Sydneys bis in den Vorort Parramatta, in dem das Turnier stattfand, gefahren um mir vor dem Spiel noch schnell ein Frühstück zu besorgen. Als es los ging, holte ich - mit den weißen Figuren spielend - eine bessere, solide Stellung heraus und war zuversichtlich die Stellung weiter auszubauen. Welchen Bedingungen ich die ganze Zeit ausgesetzt war, bekam ich zu spüren, als die Partie plötzlich turbulenter wurde und wir beide mit etwa jeweils zwei bis drei Minuten auf der Uhr in Zeitnot kamen. Auf einmal war ich unter Druck! Denn jeder falsche Zug könnte die Partie kosten und genau jetzt wurden die logischen Züge unlogisch und gefährliche Momente begannen sich abzuspielen. Ich habe intuitiv mit dem Gedanken "diesen Zug muss ich sowieso spielen, warum denn nicht jetzt" den logischeren Zug gewählt und so die Partie verloren. Hätte ich einen Moment länger in die Stellung geschaut und den anderen Zug bevorzugt, wäre mindestens ein Remis möglich gewesen und das Turnier ganz in eine andere Richtung gelaufen. Nach der Partie habe ich realisiert, dass alle Zustände, denen ich bei diesem Turnier ausgesetzt war, sich in so einem Zug wiederspiegeln. Nach einer Stunde hat die nächste Partie angefangen (Anm. d. R.: gegen IM Yang Kaiqi). Angeschlagen und demoralisiert habe ich in der Eröffnung eine Variante vertauscht und bin bald schon auf Verlust gestanden. Die letzte Partie ist nicht mehr der Rede wert, ein lustloses Remis zum Abschluss zeigt den eigenartigen Verlauf dieses Turniers mit dem Höhepunkt in der siebten Runde am besten, der der sogenannte Durchbruch hätte sein sollen.
Jetzt zu dieser Partie. Der Leser wird verstehen was ich besonders im kritischen Moment mit meinen Gedanken gemeint habe:
Patrick Scharrer (2283) - Bobby Cheng(2344) Sizilianisch B40
1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d3 Sc6 4.g3 Ld6 5.Lg2 Sge7 6.Sc3 Interessanter als 6. Bbd2, da mein Plan jetzt im Zentrum aktiv zu werden lautet.
6...Lc7 7.Le3 b6 8.d4 So schnell wie möglich das Zentrum öffnen, dass Schwarz nicht zu d5 kommt.
8...cxd4 9.Sxd4 d6 10.0–0 Lb7 11.Scb5 Mit diesem Zug möchte ich Klarheit schaffen und mit c2-c4 das Zentrum verstärken. 11...Lb8 12.Sxc6 Lxc6 13.c4 a6 14.Sc3 Hier war ich zuversichtlich: Die Bauern d6 und b6 sind schwach, der Läufer c7 passiv.
14...b5?! Verbunden mit der Idee einen meiner Stützpunkte zu attackieren und mit La7 seinen passiven Läufer zu tauschen.
15.Db3 15.cxb5 axb5 16.b4 Dd7 17.De2 La7 18.Lxa7 Txa7 fand ich nicht so klar, ist aber vom Computer die erste Wahl.
15...Dd7 16.Tfd1 bxc4 17.Dxc4 0–0 18.b4 Mit der Idee am Damenflügel zu expandieren und Druck auszuüben.
18...Sg6 19.f4?! Das unterbindet die Aktivierung des Springers, schwächt aber gleichzeitig den König. 19.De2 hat mir wegen 19. ...f5 nicht gefallen.
19...Tc8 20.Db3?! 20.Dd3 ist genauer, denn 20....f5 ist jetzt keine Gefahr mehr.
20...Se7 21.Td2?! Gibt Schwarz später die Möglichkeit zu d5, da der Td2 durch Td8 gefesselt wird.
21...La7 22.Lxa7 Dxa7+ 23.Kh1
23... d5! Cheng ersucht mit einem Befreiungsschlag Unruhe in die Stellung zu bringen. Nach 23...Dc7 24.Tad1 Td8 25.a4 Tab8 stünde Weiß etwas besser.
24.exd5 exd5 25.Sxd5 Sxd5 26.Lxd5 Td8 27.Tad1?? Verliert einfach die Partie wegen dem falschen Gedanken, dass ich die Dame danach immer noch auf f3 stellen kann und zuerst lieber den Turm aktiviere... 27.Df3! Txd5 28.Txd5 Te8 29.Tc1 Db7 30.Txc6 Dxc6 31.a3 h6 32.Td3 bringt Weiß zumindest ein Remis.
27...Txd5 28.Txd5 Df2 29.Dc4 Lb7 30.De4 Tf8 31.h3 Oder 31.a4 g6 32.b5 axb5 33.axb5 h6 34.b6 Kh7 mit der Idee Td8!
31...Dxg3 32.T1d3 Df2 33.De5 Td8 34.De7 Df1+ 35.Kh2 Df2+ 36.Kh1 Lxd5+ Weiß gab auf
Fazit des Turniers: Ich möchte keine Ausreden suchen und davon ausgehen, dass ich im 27. Zug anders gehandelt hätte, falls ich nicht diesen Umständen ausgesetzt gewesen wäre. Es kann ruhig sein, dass ich unter Zeitdruck nicht auch noch die Dame in die Fesselung gestellt hätte. Trotzdem habe ich daraus gelernt, dass in bestimmten Momenten einer Partie, z. B. bei schnellem Handeln, äußerliche unangenehme Bedingungen die Entscheidungen unterbewusst beeinflussen können. Mindestens ein angenehmes Bett kann einem Spieler schon viel weiterhelfen. Auch wenn das Turnier von Anfang an nicht meinen Erwartungen entsprochen hat, war es eine positive Erfahrung, denn Turniere auf einem anderen Kontinent bleiben einem immer besonders in Erinnerung. So werde ich diese Partie auch nie vergessen. Mein Gegner hat durch diese Partie genug Schwung bekommen um auf den vorderen Plätzen des Turniers zu landen. Klar wäre es schön gewesen, falls es mir so ergangen wäre. Jedenfalls habe ich mir in Sydney ein interessantes Schachbuch besorgt. So werde ich sicher zuversichtlicher ins nächste Turnier starten und hoffentlich die kritischen Momente besser meistern.
* = Sicher meinte Patrick Scharrer das Begonia-Open vor wenigen Wochen, das er zusammen mit zwei weiteren Spielern gewonnen hat, weil eine Buchholzwertung nicht vorgesehen war.
2012 Sydney International Openvom 11. bis 15. April 2012 in Parramatta, Australien
Endstand nach 9 Runden:
Rg. Name FED Elo Pkt. Wtg1 Wtg2 1 GM Vajda Levente ROU 2597 7,5 54,5 42,0 2 GM Czebe Attila HUN 2477 7,0 53,5 41,5 3 IM Zeng Chongsheng CHN 2435 7,0 49,5 39,5 4 GM Szabo Gergely-Andras-Gyula ROU 2553 6,5 51,5 40,0 5 GM Sengupta Deep IND 2572 6,5 51,5 40,0 6 GM Horvath Adam HUN 2487 6,5 49,5 39,0 7 IM Lane Gary W AUS 2368 6,5 48,5 37,5 8 FM Cheng Bobby AUS 2344 6,5 44,5 34,5 9 IM Solomon Stephen J AUS 2375 6,0 53,5 42,0 10 IM Rathnakaran K IND 2410 6,0 48,0 36,5 11 IM Ly Moulthun AUS 2402 6,0 47,5 36,5 12 IM Yang Kaiqi CHN 2360 6,0 43,5 33,0 13 FM Illingworth Max AUS 2352 6,0 43,0 33,5 14 FM Ikeda Junta AUS 2373 5,5 53,0 41,5 15 IM Praveen Kumar C IND 2343 5,5 48,5 37,0 16 FM Nakauchi Gene AUS 2127 5,5 48,0 38,0 17 Bai Jinshi CHN 2231 5,5 47,5 38,0 18 IM Karthikeyan P IND 2414 5,5 47,0 36,5 19 IM Akshat Khamparia IND 2411 5,5 46,5 35,5 20 Chen Pengyu AUS 2056 5,5 44,5 35,0 21 WGM Sukandar Irine Kharisma INA 2349 5,5 43,5 32,5 22 Ruan Jack AUS 1978 5,5 39,0 31,0 23 Nazari Sattar IRI 2071 5,0 48,0 38,0 24 FM Rej Tomek AUS 2265 5,0 47,5 37,0 25 Ovcina Dennis RSA 2220 5,0 46,5 38,0 26 IM Smirnov Vladimir RUS 2416 5,0 44,5 34,5 27 IM Xie George Wendi AUS 2456 5,0 43,0 33,5 28 Broekhuyse Paul AUS 2068 5,0 41,0 33,5 29 FM Chan Yi Ren Daniel SIN 2342 5,0 40,0 31,0 30 FM Scharrer Patrick ITA 2283 4,5 45,5 36,5 31 Liu Yi AUS 2116 4,5 44,5 36,0 32 Wei Michael AUS 2130 4,5 43,5 34,5 33 FM Smith Robert W NZL 2262 4,5 42,0 32,5 34 Perera Pasan AUS 1931 4,5 42,0 32,0 35 Dale Ari AUS 2020 4,5 41,5 32,5 36 Li Zuhao Luke NZL 2170 4,5 40,5 31,5 37 Smirnov Anton AUS 2151 4,5 40,0 31,0 38 Camer Angelito AUS 2072 4,5 39,0 30,0 39 FM Jones Brian AUS 2076 4,5 38,0 28,5 40 Stead Kerry AUS 2000 4,5 36,5 29,0 41 Mandla Blair AUS 2149 4,5 36,5 28,5 42 Wang Oscar AUS 1978 4,5 33,5 25,0 43 Champion Patrick AUS 1962 4,5 33,0 25,0 44 Safarian Alek AUS 2036 4,0 44,5 35,0 45 Hu Jason AUS 2132 4,0 42,5 33,5 46 Lester George E AUS 1990 4,0 41,5 31,5 47 Zelesco Karl AUS 2048 4,0 40,0 30,5 48 WIM Guo Emma AUS 2019 4,0 38,5 29,5 49 Stuart Peter NZL 2006 4,0 37,0 29,5 50 Cabilin Jeff AUS 1976 4,0 36,0 27,5 51 Ng Clive AUS 1942 4,0 35,5 28,5 52 Selnes Hamish AUS 1912 4,0 34,0 27,5 53 Descallar Levi AUS 1937 4,0 32,0 24,5 54 Tionko Efrain AUS 1876 4,0 31,5 24,5 55 Marner Gavin NZL 2026 3,5 40,0 31,5 56 Yu Sally AUS 1960 3,5 39,5 31,5 57 Boos Olivier FRA 2010 3,5 37,0 29,5 58 Loh Zachary AUS 1833 3,5 36,5 28,5 59 Cekulis Maris AUS 1799 3,5 36,0 28,0 60 Bennett Hilton NZL 1976 3,5 35,5 28,0 61 WFM Milligan Helen NZL 1991 3,5 35,5 27,5 62 Ruan Harry AUS 1870 3,5 34,0 26,5 63 Ilic Ilija AUS 2007 3,5 33,0 26,0 64 Louie Ryan AUS 1759 3,5 30,0 23,5 65 Stojic Svetozar AUS 2011 3,5 27,0 18,5 66 Vuglar Shanon AUS 1709 3,0 35,0 27,5 67 Gu Sean AUS 1890 3,0 34,0 27,5 68 Brown Kevin M AUS 1764 3,0 30,5 23,0 69 Rachmadi Herman AUS 1840 2,5 34,0 27,0 70 Wan Dennis AUS 1805 2,5 32,0 25,0 71 Gayake Yogesh IND 0 2,5 29,0 22,5 72 Gerges Fady AUS 1878 2,0 34,5 27,0 73 Buciu Aurel-John AUS 1762 2,0 31,5 25,5 74 Brockman Roland AUS 1700 2,0 31,0 24,0 75 Schoenbaechler Remo SUI 1922 2,0 29,0 23,0 76 Encel Benjamin AUS 1881 0,0 27,0 21,0
|